Lena Nzume: Rede zu den Ergebnissen der PISA-Studie (Akt. Stunde CDU)

© Plenar TV

TOP 37b: Das Pisa-Desaster ernst nehmen – unsere Kinder vor rot-grünen Bildungsexperimenten schützen (Akt. Stunde CDU)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Landtagspräsident*in,

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, geschätzte Mitmenschen,

als ich den Titel der Aktuellen Stunde gelesen habe, konnte ich meinen Augen kaum trauen. Der Antrag trägt den Titel: „Das PISA-Desaster ernst nehmen - unsere Kinder vor rot-grünen Bildungsexperimenten schützen.“

Dieser Titel ist nicht nur populistisch und polarisierend, sondern bedient auch das Prinzip des "Othering" (engl. Veränderung/ Andersmachung). Hier wird bewusst ein Feindbild konstruiert, bei dem ein imaginäres "Wir" die Kinder vor vermeintlichen Bedrohungen schützen soll. Der Ausdruck "rot-grüne Bildungsexperimente" lässt dabei keine Zweifel offen, wen die CDU als den Feind ansieht. Solche Mechanismen des Othering dienen dazu, Gruppen zu stigmatisieren und zu spalten. Dabei wird das ‚Wir‘ verstärkt positiv als „Beschützer unserer Kinder“ hervorgehoben, während die ‚Anderen‘, ‚die Fremden‘, diese bedrohen. Der Mechanismus dient zugleich dazu, die eigene ‚Normalität‘ zu bestätigen und das ‚Andere‘ als Abweichung zu markieren.

Es ist genau diese Art von populistischer Rhetorik, die den Nährboden für rechtsextremistische Parteien bereitet. Offene Feinderklärungen seitens der Rechtspopulisten werden aufgegriffen und in subtile Botschaften verwandelt. In diesem Titel wird Rot-Grün als Hauptgegner dargestellt, während die angebliche Brandmauer nach rechts weiter bröckelt.

Es fällt auf, dass sich die CDU in letzter Zeit immer stärker der Sprache von Rechtspopulisten und der AfD annähert. Der Titel des Antrags legt nahe, dass die Grünen und ihre Bildungspolitik der Hauptgegner sind, während der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz implizit nach rechts offen zu verhandeln scheint. Es ist von größter Bedeutung, dieser Entwicklung an dieser Stelle klar zu benennen.
Dass die wichtigen Schritte und Veränderungen der Bildungspolitik auf die vermeintliche Abschaffung von Noten reduziert wird zeigt entweder, wie schlecht Sie informiert sind oder wie wenig Sie bereit sind, eigene Forderungen nach Veränderungen gerecht zu werden. Denn einfach überall unqualifizierte Personen in Schulen zu setzen, nur damit der Unterricht läuft – egal wie schlecht das aussehen mag – ist nicht der Weg hin zu einer hochwertigen Bildung.

Wir sollten uns bewusst sein, dass die politische Mitte die Verantwortung trägt, angemessen auf die Radikalisierung der Ränder zu reagieren. Statt den rechten Sprachduktus zu übernehmen, sollten wir einen sachlichen Diskurs führen. Dazu gehören selbstverständlich leidenschaftliche Debatten, jedoch ohne in Feindseligkeiten abzudriften.

Liebe CDU, ich appelliere an Sie, in politischen Gegnern keine Feinde zu sehen. Sicherlich gibt es Differenzen in gesellschaftspolitischen Fragen, auch in der Bildung. Aber sollten wir nicht besonnen Argumente austauschen, statt in einen feindseligen Kulturkampf abzurutschen? Dies dient letztendlich nur den Rechten und schwächt unsere Demokratie.

Liebe Kolleg*innen,

wir nehmen die Ergebnisse der PISA-Studie sehr ernst. Sie verdeutlicht, dass strukturelle Veränderungen in der Bildung notwendig sind. Statt jedoch konstruktive Ideen einzubringen, wird von ideologischen "Bildungsexperimenten" gesprochen. Gleichzeitig widersprechen Sie sich, indem Sie strukturelle Veränderungen wollen, aber das dreigliedrige Schulsystem nicht grundlegend infrage stellen.

Wir können nicht den bildungspolitischen Stillstand der letzten 20 Jahre weiter verwalten. Die PISA-Studie zeigt, dass das aktuelle Schulsystem versagt und Ungleichheiten verstärkt. Es gibt natürlich Profiteure, die zu den Privilegierten gehören und lieber herabschauen, anstatt solidarisch zu sein.

Die PISA-Studie ist ein Systemcheck und attestiert dem deutschen Schulsystem schlechte Noten. Bildung ist nicht Lösung des Problems der sozialen Ungleichheit, sondern unser Bildungssystem verschärft Ungleichheit. Der Glaubenssatz „Jeder ist seines Glückes Schmied“ individualisiert den Bildungs(miss)erfolg. Er bedeutet eben auch: die über eine schlechte Ausbildung verfügen oder sich in einer prekären ökonomischen Lage befinden, sind selbst Schuld, sie hätten ihr Schicksal ,verdient‘.

Wir brauchen endlich eine Kehrwende von einem meritokratischen Bildungssystem und der Leistungslüge! Auch der Blick auf die PISA-Gewinner zeigt, dass Länder, die ihre sogenannten Bildungsexperimente institutionalisiert haben, sich für Chancengerechtigkeit einsetzen, fächerübergreifendes und individualisiertes Lernen ermöglichen, z.B. Kanada und Finnland, deutlich besser abschneiden als Deutschland.

Liebe Kolleg*innen,

die PISA-Studie macht deutlich, dass das deutsche Schulsystem seit mehr als 20 Jahren von Migration überrascht ist. Migrationspädagoge Paul Mecheril spricht daher von einer „chronifizierten Überraschung“. Statt ungleichheitsfördernde Strukturen zu kritisieren oder das Bildungssystem zu weiterzuentwickeln und zu reformieren, wurden in der Berichterstattung zu PISA Personengruppen, z.B. Migrant*innen und Geflüchtete problematisiert.

Schnelle Lösungen sind nicht die Antwort auf komplexe Probleme. Daher setzen wir uns gemeinsam mit der Landesregierung für umfassende Verbesserungen im Bildungssystem ein, wie den Antrag zum Sozialindex zeigt. Wer Maßnahmen wie pädagogischen Freiraum und verbesserte Digitalisierung als ideologisch bezeichnet, hat die Herausforderungen im niedersächsischen Bildungssystem nicht erkannt.

Ich freue mich auf konstruktive Zusammenarbeit und einen respektvollen Diskurs, bei dem wir Unterschiede sachlich benennen und gemeinsam eine Grenze gegen rechts ziehen.

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